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Die Flügel der Sphinx

Im mittlerweile elften Italo-Krimi schiebt der in die Jahre gekommene Genussmensch gehörig Frust. Seine Beziehung zu Livia ist festgefahren, und er hat sich ebenso wie der Rest der Gesellschaft der Tatsache ergeben, dass sich sein Land im Würgegriff der Mafia befindet. Überdies verdüstert sich seine Stimmung durch den Fund einer nackten entstellten Frauenleiche an dem einstmals so stolzen Fluss Salsetto, der, zum Rinnsal und zur Müllkippe verkommen, für Montalbano ein Symbol des Niedergangs ist. Routinier Camilleri führt die Leser in seinem neuen Werk „Die Flügel der Sphinx“ sicher durch eine verwickelte Geschichte von Verbrechen, die er wie gewohnt mit einiger Gesellschaftskritik hinterlegt. Das einzige Identifikationsmerkmal der Toten ist ein Tatoo an der Schulter, das die Flügel der Sphinx, eine Schmetterlingsart, darstellt. Das Tatoo wird im Fernsehen gezeigt, alsbald meldet sich ein Zeuge, dessen ehemalige russische Haushaltshilfe ein solches Tatoo aufwies. Der Commissario erfährt, dass auch seine Freundin Ingrid eine russische Haushaltshilfe hatte, die sich unter Mitnahme von Schmuck im Wert von satten 400.000 Euro aus dem Staub gemacht hat. Das bringt ihn auf die Spur einer Diözesan-Organisation mit dem schönen Namen „Der Gute Wille“, die diese drei Frauen vermittelt hatte. Es kommt heraus, dass die höchsten Spitzen der ehrenwerten Gesellschaft von Vigáta dahinter stecken. Sie haben sich das hehre Ziel gesetzt, die von üblen Schleppern ins Land gelockte Russinnen, die statt in anständige Berufe in die Prostitution geschickt wurden, aus diesem Elend zu befreien und in ehrbare Beschäftigungsverhältnisse zu vermitteln. Nicht nur, dass sich die Organisation damit eine goldene Nase verdient. Um die armen Mädchen aufzuspüren, bedient sie sich höchst zweifelhafter Elemente, die ein lukratives Nebengeschäft betreiben, und die Mädchen zum Diebstahl an ihren Arbeitgebern anstiften. Der Verstrickungen und Komplikationen nicht genug, soll sich Montalbano auch noch um die „Entführung“ eines bekannten Geschäftsmannes kümmern, der sich - wie bald alle außer der leidenden Gattin wissen - aber keinesfalls in einer prekären Situation befindet, sondern sich einfach aus dem Staub gemacht hat und sein dolce vita irgendwo an einem Pazifikstrand genießt. Diesen Fall löst der Commissario nebenbei und mit gewohnt leichter Hand. Natürlich fehlen auch die üblichen Ingredienzien nicht, die der Krimiserie erst die richtige Würze geben. Wie immer schlemmt Salvo genussvoll seine Barben, Langusten und die von seiner Haushaltshilfe liebevoll zubereiteten Paste. Wie immer verschusselt das Kommissariats-Faktotum Catarella alle Telefonnummern und verwechselt alle Namen. Die entscheidende Zutat aber ist die Melancholie eines Helden in der Midlife Crisis: „Ja, wenn man genauer darüber nachdachte, wurden doch seit Jahren schon immer haargenau die gleichen Nachrichten gebracht. Was sich änderte, waren allein die Namen: die der Orte, an denen die Ereignisse stattfanden, und die der Personen. Doch der Inhalt war immer der gleiche.“





Last modified Saturday, July, 16, 2011